Der W Akustiktour, Admiralspalast Berlin, 27.Mai 2024
Text: Anne-Katrin Sielaff
Mit viel Vorfreude (nach den umfassenden Erzählungen meines fotografierenden Mannes Marcus von seinen Akustiktour - Erlebnissen der vergangenen Tage in Leipzig & Erfurt), aber auch mit einem Hauch Skepsis fahre ich heute in den altehrwürdigen Admiralspalast an der Friedrichstraße im Herzen Berlins. Skepsis deshalb, weil ich Stephan Weidner mit Strom und laut und „voll auf die Zwölf“ sehr mag und in den letzten Jahren oft live genießen durfte und ich festgestellt habe, dass ich den Unplugged-Versuchen einiger seiner Kollegen in den letzten Jahren nicht viel abgewinnen konnte.
Ich finde es allerdings sehr beachtenswert, dass Einer, bei dem es mit einer der größten Deutschrockbands und auch solo seit Jahrzehnten super läuft, sich auf unbekannte Pfade begibt, ich mag experimentierfreudige Persönlichkeiten.
Im Hof des Theaterhauses sammeln sich schon die üblichen schwarz gekleideten Konzertbesucher. Es wird an diesem lauen vorsommerlichen Berliner Abend noch das eine oder andere Bierchen gezischt, man tauscht sich aus, was da wohl heute auf uns zukommt. Spannung liegt in der Luft.
Dann geht's in die heiligen Hallen und wer den Admiralspalast nicht kennt: wir befinden uns in einem opulenten Konzerthaus mit mehr als hundertjähriger Geschichte (Eröffnung: 20. April 1911). Es gibt Logen mit vergoldetem Dekor, rote Samtsessel, ein überdimensionaler Kristall-Kronleuchter schwebt über den Köpfen des Publikums. Ein feines Ambiente für einen besonderen Abend hat Herr Weidner sich ausgesucht! Besonders deshalb, weil heute Abend nicht nur in Ton, sondern auch im Bild festgehalten wird. In den sozialen Medien kündigte Stephan dies verbunden mit der Bitte an, sich dementsprechend zu verhalten. Ob er sich damit wohl einen Gefallen getan hat? Ich habe meine Zweifel…
Die Reihen füllen sich nach und nach, man sieht viele bekannte Gesichter, die Spannung steigt. Es wird sich an den Bars im Haus noch mit einem oder mehreren Kaltgetränken versorgt.
Fast pünktlich um 20.06 Uhr betreten die Bandmitglieder nach und nach die Bühne, Stephan erscheint unter tosendem Applaus der Menge im feinen Nadelstreifenzwirn. Wir hören ein Intro für Cello und Geige, so mucksmäuschenstill habe ich ein Weidner-Publikum noch nie erlebt.
Es liegt allerdings von Beginn an ein Vibrieren in der Luft, es fällt dem Einen oder Anderen deutlich schwer, so still auf seinem Platz zu sitzen. Ja: SITZEN, Ihr habt richtig gelesen!
Nach dem ersten Song „Geschichtenhasser“ begrüßt uns Der W mit ein paar Worten: Er nimmt uns heute Abend mit auf eine kleine musikalische Reise mit neu arrangierten Liedern, um ein bisschen tiefer und intimer einzutauchen. „Es freut uns sehr, dass Ihr heute Abend hier seid.“ Man spürt dem sonst so coolen und entspannten Stephan die Aufregung aufgrund der besonderen Umstände heute schon ein klein wenig an. Für meinen Geschmack (zumindest im ersten Teil vor der Pause) schwingt bei seiner Gestik und auch in seinen Ansagen etwas zu viel Pathos und zu wenig echter Stephan mit. Auch bei den ersten 2 bis 3 Songs brauche ich etwas Zeit, um mich an das ungewohnte Gewand altbekannter Songs zu gewöhnen und das scheint nicht nur mir so zu gehen: Die Leute um uns herum schauen wie hypnotisiert zur Bühne, niemand traut sich mitzusingen – wirklich sehr ungewöhnlich für ein Weidner-Konzert!
Aber spätestens bei „Gespräche mit dem Mond“ hat Stephan uns alle in der Tasche. Der Sound im alten Theaterhaus und vor allem das offensichtliche Können der Musiker sind einfach grandios. Zwischendurch ein kleiner Scherz vom Meister: „Gar nicht so einfach, stillzusitzen, was? Seht es einfach so, als würde ich Euch eine Meditation abtrotzen!“
Zu jedem seiner Stücke erfolgt vorher eine kurze Erklärung zur Inspirationsquelle: bei „Justitia“ ist es zum Beispiel Nelson Mandela. Vielen Songs tut das Arrangement mit den Streichinstrumenten wirklich sehr gut, gibt ihnen noch mehr Tiefe und Ernsthaftigkeit. Stephan scheint zu spüren, dass das Publikum so seine Problemchen mit der ungewohnten Atmosphäre hat und erzählt uns deshalb, was ihn zu dieser Tour bewegt hat: „Ich hoffe, dass Ihr am Ende des Abends ein bisschen was mitnehmt und das etwas nachhallt.“ Sein langjähriger Bandkollege und Freund Dirk (es erfolgt eine rührende Umarmung auf der Bühne) habe einen großen Anteil an der Transformation der Stücke. Dirk könne selbst Groovemonster wie „Mordballaden“ in eine Ballade verwandeln.
Während des Pausengespräches mit anderen Konzertbesuchern verstärkt sich mein Eindruck, dass es nicht schlecht, aber definitiv gewöhnungsbedürftig ist und dass wir das nächste Mal lieber wieder Stephan „mit Strom“ haben wollen. Stillzusitzen, nicht tanzen zu können (ehrlicherweise musste ich natürlich ein wenig sitzend auf dem Stuhl herumzappeln), ist schon Höchststrafe. Und Stephan hat offensichtlich Antennen für unser Leiden, denn er erklärt nun: „In der Stille liegt viel Kraft. Das Ganze ist ein Experiment und wir sind sehr dankbar, dass Ihr das mitmacht. Wir alle wissen, dass wir Rockshows können, aber das hier heute holt mich und Euch aus der Komfortzone, das ist der Sinn dahinter!“
Der zweite Teil der Show nach der Pause ist auf jeden Fall von der Stimmung im Publikum und auch bei Stephan auf der Bühne deutlich entspannter, einen „Mexiko“- Ruf kommentiert er mit „Berlin, Ihr wart auch schon mal lustiger!“ und ein lautes Grölen in der Stille (wahrscheinlich beim Einen oder Anderen auch dem steigenden Alkoholpegel zuzuschreiben) wird von Stephan leicht genervt mit „ADS ist ganz schön weit verbreitet…“pariert. Man merkt ihm schon an, dass er sehr viel Herzblut in dieses Projekt gesteckt hat und dass es ihn ziemlich enttäuscht, dass nicht jeder hier im Publikum den Sinn dahinter zu begreifen scheint.
Mein Fazit: Sehr gelungener Konzertabend mit Tiefgang und ein bisschen zu viel Pathos